Jost Giesing (links), Hendrik Erwig (mitte) und Nadine Schäfer (fehlt) befragten im Rahmen ihres Masterprojekts unter der Leitung von Prof. Dr. Ralf-Michael Marquardt (rechts) deutschlandweit Verbände zum Thema Energiewende. Foto: WH/Ralf-M. Marquardt
Ziel des im April 2022 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Robert Habeck auf den Weg gebrachten „Osterpakets“ ist es, im Jahr 2030 80 % des Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien zu decken. Ab 2045 wird sogar eine vollständige (Netto-)Treibhausgasneutralität der Stromversorgung angestrebt. Ein wichtiger strategischer Baustein dabei ist ein beschleunigter Ausbau von Windenergie- und Photovoltaikanlagen. Innerhalb von nur acht Jahren gilt es, mehr als 1,5-mal so viele EE-Kapazitäten neu hinzuzubauen wie in den zurückliegenden 30 Jahren. Über die nächsten 23 Jahre hinweg soll sich die EE-Leistung in photovoltaiklastiger Form sogar mehr als vervierfachen. Neu ist zudem, dass die Errichtung und der Betrieb von EE-Anlagen als Angelegenheit des „überragenden öffentlichen Interesses“ und der „öffentlichen Sicherheit“ deklariert werden. Dadurch – aber auch durch verschlankte Bürokratieprozesse – sollen Klagen abgehalten, Entscheidungen beschleunigt sowie Planungs-, Genehmigungs- und Bauverfahren forciert werden.
Aber reichen die angekündigten Maßnahmen aus und sind sie überhaupt umsetzbar, um die deutsche Energie- und Klimapolitik auf dem Kurs des Pariser Klimaabkommens zu halten oder handelt es sich eher um eine Mogelpackung? Diesen Fragen sind die Recklinghäuser Studierenden Jost Giesing, Hendrik Erwig und Nadine Schäfer aus dem Studiengang Wirtschaftsrecht im Frühjahr 2023 im Rahmen ihres Masterprojekts nachgegangen. Dazu sammelten sie mittels Umfrage die Einschätzung von 26 bundesweit aktiven Verbänden. Die beteiligten Verbände stammten vorrangig aus den Bereichen Energieversorgung und Natur- sowie Klimaschutz aber auch dem Gewerbe- und Dienstleistungsbereich, dem Gebäudesektor und der (nicht-)energieintensiven Industrie. Die von den Studierenden entwickelten Fragen zielten sowohl auf allgemeine Einschätzungen zur Energiepolitik, Einzelaspekte des „Osterpakets“ als auch die Energiewende im Kontext der Energiekrise ab.
Die Ergebnisse zeigten, dass fast drei Viertel der Befragten glauben, dass Deutschland stark vom Klimawandel betroffen sein wird. Allerdings traut die überwiegende Mehrheit der Politik nicht zu, dass Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral wird. Nur knapp jeder Vierte hält das Ziel für erreichbar. Die viel diskutierte Frage, ob Deutschland eine Vorbildfunktion für andere Länder hat, wurde von den Befragten unterschiedlich beantwortet. Während 42 % davon ausgehen, dass Deutschlands Fortschrittserfolge einen Einfluss auf andere Staaten haben werden, attestieren 39 % eine eher schwache Beispielwirkung. Mit der Notwendigkeit, im Zuge des EE-Ausbaus verstärkt Wasserstoff importieren zu müssen, verbinden fast zwei Drittel die Gefahr, in hohe Auslandsabhängigkeiten zu geraten.
In Bezug auf die Einzelziele des Osterpakets zeigte die Auswertung, dass der angestrebte Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 als überaus ambitioniert erachtet wird. Als die größten Hindernisse beim Ausbau der erneuerbaren Energien wurden dabei die Bürokratie, Personal- und Materialengpässe sowie gerichtliche Klagen genannt. Finanzielle Fördermaßnahmen werden von 54 % der Befragten als geeignetes politisches Mittel angesehen, um die Zielerreichung zu unterstützen. Beim Ausbau der Stromnetze werden die schleppenden Genehmigungsverfahren und Klagen als die größten Bremser angesehen. Fast 70 % der Befragten erwarten eine Beschleunigung von Genehmigungsverfahren durch die Einstufung der EE-Versorgung als Gegenstand des „überragenden öffentlichen Interesses“ und der „nationalen Sicherheit“.
Die Studierenden kommen zu dem Schluss, dass solange die Diskrepanz zwischen den Zielen und den geäußerten skeptischen Erwartungen in der Realität nicht überbrückt wird, weil alle eingeleiteten Maßnahmen doch nicht ausreichen sollten, das „Osterpaket“ eine Mogelpackung bleibt. Die detaillierten Ergebnisse wurden auch in den VIK-Mitteilungen – dem Fachmagazin des Verbands der Industriellen Energieund Kraftwirtschaft – veröffentlicht.
(Lisa Kurpiun)