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Urbane Produktion in der Produktiven Stadt

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Urbane Produktion in der Produktiven Stadt

„Urbane Produktion“ kann viel beitragen zur „Stadt der kurzen Wege“, zu Energieeffizienz und Klimaschutz. © Pixabay

In der Stadt wohnen und arbeiten, moderne Technologien oder klassisches Handwerk nutzen – „Urbane Produktion“ kann viel beitragen zur „Stadt der kurzen Wege“, zu Energieeffizienz und Klimaschutz. Das Institut „Arbeit und Technik“ (IAT) veröffentlichte im August einen wissenschaftlich fundierten und gleichzeitig praxisbezogenen Sammelband mit diversen Beispielen und Instrumenten zur „Produktiven Stadt“.

Der Band verbindet Forschung zu Urbaner Produktion im deutschsprachigen Raum und zeigt zahlreiche Lösungsmöglichkeiten und Konzepte zur Nutzungsmischung unter Erhalt der produktionsbezogenen Wirtschaft auf. Das Buch gibt einen Überblick zu Ideengeschichten, aktuellen Diskussionen, Konzepten, Definitionen, Messbarkeit, Relevanz und Potenzialen von Produktionsprozessen im urbanen Raum. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen – darunter Architektur, Maschinenbau, Stadt- und Raumplanung, Stadt- und Immobilienökonomie und Planungsrecht – wirkten daran mit. Das Buch richtet sich sowohl an Studierende, Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler als auch Stadtplanerinnen und -planer sowie Praktikerinnen und Praktiker.

Kommunale Strategien bei knappen Wirtschaftsflächen

Die Publikation klammert die Probleme und Herausforderungen der Urbanen Produktion nicht aus, wie etwa die Flächenprobleme in vielen Städten. Es mangelt eklatant an Gewerbeflächen im Revier, an Platz für expandierende oder ansiedlungswillige Betriebe. Oft werden sogar ansässiges Gewerbe und Handwerk verdrängt, weil Wohnungen oder Einzelhandel höhere Renditen erzielen. Wie Kommunen gegensteuern und vielleicht die Produktion „zurück in die Stadt“ holen können, hat die Regionalforscherin Kerstin Meyer vom IAT untersucht. Um Flächen zur Neuansiedlung vorzuhalten, können Kommunen Fachkonzepte zur Wirtschafts- und Gewerbeentwicklung verabschieden. Diese informellen Instrumente können beispielsweise durch einen Ratsbeschluss politisch legitimiert und in Flächennutzungs- und Bebauungsplänen formell verankert werden. So können Gewerbe- und Industriegebiete für produzierendes Gewerbe erhalten sowie funktionale Umnutzungen verhindert werden. „Will eine Kommune Produktion in der Stadt erhalten beziehungsweise ansiedeln, sind verbindliche strategische Konzepte wichtig, um der Verwaltung zu signalisieren, dass die Politik hinter diesen Plänen steht“, fordert Meyer. Dann muss zum Beispiel bei der Flächenprüfung zur Umwidmung einer Industrie- oder Gewerbefläche zu Dienstleistung oder Wohnen eventuell die Genehmigung untersagt werden, selbst wenn ein höherer Preis für die Fläche erzielt würde.<

Gemeinsam gegen die Gewerbeflächenknappheit: In Bochum haben sich mehrere Manufakturen mit Unterstützung des Kulturraums „Tapetenwechsel“ zu einem Verein zusammengeschlossen und nutzen gemeinsam den – zeitlich befristeten – Pop-Up-Store ByBo, um ihre Erzeugnisse anzubieten. © IAT

Die IAT-Forscherin hat vier kommunale Konzepte (London, Düsseldorf, Bremen und Stuttgart) sowie deren Entstehungsprozess analysiert. Die Ergebnisse können als Anregung für andere Kommunen dienen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen und nach Lösungen zum Erhalt oder Ermöglichung der „Produktiven Stadt“ suchen. Die vier Strategien wurden in wachsenden Großstädten entwickelt, die aufgrund der Flächenknappheit und Nutzungskonkurrenzen dem Handlungsdruck zur Förderung und Sicherung von Urbaner Produktion schon lange ausgesetzt und dadurch gewissermaßen gezwungen sind, Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Fortschreiten zu verhindern. Sie zeigen nun Handlungsmöglichkeiten und Instrumente zur Sicherung und Förderung Urbaner Produktion für andere Kommunen auf. Allerdings sind die entwickelten und teils bereits angewandten Instrumente oft mit hohem (Planungs-)Aufwand oder hohen Kosten verbunden. Kommunen in Haushaltssicherung oder kleine Kommunen, die kaum Personal zur Verfügung haben, werden viele der genannten Instrumente nicht einfach umsetzen können und sind auf regionale Unterstützung angewiesen.

Kann lokale Produktion global umweltgerecht funktionieren?

Auch unter dem Aspekt der globalen Umweltgerechtigkeit zeigen sich Probleme der „Produktiven Stadt“: „Wenn unter dem Label Urbane Produktion Kaffee in der Stadt geröstet wird oder T-Shirts an urbanen Orten bedruckt werden, findet zwar ein Großteil der monetären Wertschöpfung urban statt, der Ressourcenverbrauch und die Emissionen sind und werden allerdings weiterhin – meist nach Süden – verlagert“, kritisiert Dr. Stefan Gärtner, Direktor des Instituts „Arbeit und Technik“.

In dem Sammelband „Die Produktive Stadt“ hat Gärtner zusammen mit Prof. Dr. Phillipp Schepelmann vom Wuppertal Institut die Herausforderungen der globalen Umweltgerechtigkeit für die Bereiche Planung, Kreditwesen und die Regulierung der Lieferketten diskutiert. Hippe Produkte – wie zum Beispiel vor Ort gesiedete Seifen, Kleidung aus der Manufaktur oder Schokowaffeln – erhielten über das Narrativ „urban und lokal hergestellt“ eine Überschussbedeutung. Oftmals würden aber im urbanen Raum Produkte nur veredelt, die Belastungen dagegen verlagert. Es mangele nicht an Plänen, aber am Wissen, wie so ehrgeizige Ziele wie Klimaneutralität überhaupt erreicht werden können.

Die Ursache sehen Gärtner und Schepelmann darin, dass Planungsbehörden wie auch Unternehmen aus verständlichen Gründen nur die lokalen Auswirkungen berücksichtigen. Interessen von räumlich und zeitlich entfernten Betroffenen – etwa in anderen Kontinenten oder zukünftige Generationen – spielten, wenn überhaupt, nur deklaratorisch eine Rolle. Eine global verantwortliche Stadtpolitik müsste darauf achten, dass zumindest ein Teil der von der Bevölkerung konsumierten Produkte auch auf dem eigenen Territorium produziert und recycelt beziehungsweise entsorgt wird. Dies könnte zu einer größeren Sensibilität gegenüber den durch Konsum verursachten Umweltbelastungen und dies wiederum zu weniger Konsum sowie Einsparung von Energie und Ressourcen führen (Suffizienz). Das Fazit der Forscher: „Die deutsche Wirtschaft kann über Lieferketten zwar global wirkungsvoll agieren, das schlägt sich allerdings kaum in der Bewertung zum Beispiel von Urbaner Produktion nieder. Für eine global umweltgerechte Urbane Produktion fehlt es derzeit an Wissen, Methoden, Prozessen und Erfahrungen.“

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