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Ein zweites Leben im Labor für die Karl-Lehr-Brücke

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© WH/Vito Burgio

© WH/Vito Burgio

Maschinenbaustudierende am Campus Gelsenkirchen können sich auf einen ganz besonderen Einblick in die Geschichte der Stahl- und Fügetechnik freuen, denn ab diesem Semester können sie an echten Proben der ehemaligen Karl-Lehr-Brücke aus Duisburg forschen.

Die Karl-Lehr-Brücke ist die Hauptschlagader für den Duisburger Hafen und stellt damit einen der bedeutendsten Verkehrswege der Stadt Duisburg dar. Im Zuge der Sanierung der Brücke wurde im Januar 2024 der alte OB-Karl-Lehr-Brückenzug demontiert. Ein kleiner Brückenteil hat daraufhin den Weg in die Labore der Westfälischen Hochschule gefunden, um Studierenden zukünftig einen Einblick in die Geschichte der Stahl- und Fügetechnik zu bieten. „Als ich in den sozialen Medien gesehen habe, dass die Brücke demontiert wird, habe ich sofort Kontakt zur Stadt Duisburg aufgenommen“, so Vito Burgio, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Maschinenbau. „Das ist eine tolle Gelegenheit für unsere Studierenden, ein Anwendungsbespiel aus der Region kennenzulernen.“

Für die Untersuchung der Proben können Studierende zukünftig die gesamte Bandbreite der Ausstattung der Labore für Schweißtechnik und Werkstoffkunde verwenden. So können die Proben zum Beispiel mit Hilfe der Metallographie oder Mikroskopie sowie auf ihre chemische Zusammensetzung hin untersucht werden. Daraus lassen sich dann Rückschlüsse auf die Herstellungsart, die entsprechende Herstellungszeit und auch die Schweißeignung der Bauteile ziehen. Auch Schweißversuche können die Studierenden an den fast 115 Jahre alten Brückenteilen durchführen.

Gleichzeitig sind die Proben ein Spiegel der Geschichte der Stahl- und Fügetechnik: Früher kam vor allem unberuhigter Stahl zum Einsatz. Im Gegensatz zu dem heutzutage eingesetzten sonderberuhigten Stahl enthält dieser zum Beispiel höhere Stickstoffgehalte. Das führt zu einer sogenannten Alterung des Stahls, wodurch die mechanischen Eigenschaften negativ beeinflusst werden. Weiterhin weist unberuhigter Stahl häufig Seigerungszonen auf – das sind Anreicherungen von Begleit- und/oder Legierungselementen innerhalb metallischer Bauteile –, die die schweißtechnische Verarbeitung von Stahl erschweren, da sie unter keinen Umständen angeschmolzen werden dürfen.

Ein weiterer historischer Unterschied in der Stahlverarbeitung ist im Bereich der Fügetechnik zu finden, denn die Stahlteile wurden früher häufig genietet. Dieses war viel arbeits- und materialintensiver als es die heutige Fügetechnik mit der Hilfe von Schweißgeräten und Verschraubungen ist. So bieten die Proben der Karl-Lehr-Brücke Bachelor- und Masterstudierenden einen lebendigen Einblick in die historische Entwicklung der Stahlverarbeitung.

Doch auch für die Forschung im Bereich der Werkstoffkunde kommen die Proben der Karl-Lehr-Brücke zum Einsatz: An ihnen können Verfahren entwickelt und getestet werden, um alte Brücken zu sanieren. In Deutschland gibt es viele alte und sanierungsbedürfte Brücken. Durch die historische Stahlqualität und veraltete Fertigungsverfahren stellt die Sanierung solcher Brücken aber eine große Herausforderung dar. Eine Sanierung ist allerdings wünschenswert, denn sie schont Ressourcen im Gegensatz zum Neubau und hilft dabei, historische Bauwerke zu erhalten. Der Wunsch danach Verfahren zu entwickeln, die eine nachträgliche Verstärkung der Stahlbauteile ermöglichen und deren Sanierungsfähigkeit steigern, ist daher groß.

Die Proben der Karl-Lehr-Brücke werden seit diesem Sommersemester in verschiedenen Bachelor- und Masterkursen der Werkstoffkunde und Fügetechnik sowie für Forschungszwecke eingesetzt. Auch Studierende, die die Zusatzqualifikation zur Schweißfachingenieurin oder zum Schweißfachingenieur machen, profitieren von der Zusammenarbeit der Stadt Duisburg und der Westfälischen Hochschule.

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